Morbides Wien – ein grauer Novembertag in Österreichs Hauptstadt.

Morbides-Wien-Zentralfriedhof

Ich bin ja grundsätzlich mehr so der Sonnenanbeter. Und doch haben graue triste Novembertage auch etwas für sich. Sie verbreiten bei mir eine gewisse Melancholie gepaart mit klischeehafter Gemütlichkeit. Kaminfeuer, Heißgetränk, Lebkuchen, ein gutes Buch und das Bewusstsein, dass man nichts verpasst, wenn man nicht vor die Tür tritt. Tut man es doch, kann man allerding was erleben – zumindest in Wien – und tief in diese unbestimmte Melancholie eintauchen.

Genau das haben wir an so einem Novembertag gemacht und die morbiden Seiten Wiens erkundet.

Fast-Heimat Wien

Wien wäre einmal fast meine neue Heimat geworden, hätte mein Mann sich nicht wieder nach München versetzen lassen. Dennoch habe ich zumindest so viel Zeit dort verbracht, um die Stadt und Ihre Bewohner sehr lieben zu lernen. Der Münchner und der Wiener sind sich gar nicht so unähnlich. Sagt man beiden doch so eine gewisse „Grantigkeit“ nach und frotzeln tun beide gerne. Der Unterschied ist jedoch, dass der Wiener eine besondere Einstellung zum Leben, respektive Tod hat. In Wien gehört der Tod zum Leben, sagt man so schön. Nicht zuletzt deswegen gehören Friedhöfe in Wien wohl zur Kultur, werden gehegt und gepflegt und sind eng mit der Geschichte der Stadt verbunden.

Die „schöne Leich“ war einst in Wien ein Muss. Manche haben für das herrschaftliche Begräbnisritual ein Leben lang gespart. Ganz eindrücklich beweist das auch der Wiener Zentralfriedhof, unsere erste Station.

Zenralfriedhof-Wien

Es lebe der Zentralfriedhof (by Wolfgang Ambros)

Raus geht nach Simmering mit der Straßenbahn 71, denn der Friedhof liegt nicht so zentral, wie es der Name verspricht. Über das Tor 2, dem Haupteingang erreichen wir den Friedhof. Wir nehmen an keiner Führung teil, sondern lassen uns einfach nur treiben. Der Wiener Zentralfriedhof ist mit einer Fläche von fast 2,5 Millionen Quadratmetern riesig und angeblich die zweitgrößte Friedhofsanlage Europas. Wer mag, kann gern nach der größten recherchieren und mir mitteilen. Gegenwärtig beherbergt der Friedhof etwa 330.000 Grabstellen mit drei Millionen Verstorbenen. Der Friedhof steht allen Konfessionen offen, was wohl neu, revolutionär und ziemlich umstritten zu  Gründungszeiten war. Insofern ist das Areal auch streng in einzelne Sektionen unterteilt. Natürlich beginnen wir im luxurösen Mittelteil mit den Ehrengräbern von Berühmten Persönlichkeiten (Beethoven, Schubert, Mozart, etc.). Danach schlendern wir ziellos umher und halten weiter nach bekannten Namen Ausschau.

Besonders beklemmend finde ich den Bereich Anatomie und „Babygruppe“. Ersterer gedenkt an Menschen, die ihre Körper der Wissenschaft zur Verfügung gestellt haben. In der Babygruppe befinden sich Gräber von Totgeburten oder viel zu früh verstorbenen Kindern – teils geschmückt mit Andenken, Teddybären und ähnlichem.

Die traurige Stimmung schlägt uns zwar schon auf den Magen, dennoch machen wir uns von Simmering in Richtung Schwechat auf –  zu einem weniger besuchten, fast vergessen Ort, dem Friedhof der Namenlosen an der Donau gelegen.

Friedhof_der_Namenlosen

Foto: WienWiki / Lydia Platzer

Friedhof der Namenlosen oder Selbstmörderfriedhof

So komfortabel wie auf dem Zentralfriedhof haben es die Toten auf dem „Friedhof der Namenlosen“ nicht. Ihnen wurde keine „schöne Leich'“ zuteil und kein pompöses Begräbnis gewidmet. Hier liegen vor allem Selbstmörder und Verunglückte, welche die Donau wegen eines Wasserstrudels hier anspülte. Viele von ihnen blieben „unidentifiziert“ – namenlos eben. Als später in der Gegend große Getreidesilos gebaut wurden, erhielt die Donau-Strömung eine andere Richtung. Seitdem wurde dort keine Leiche mehr angespült. Der „Friedhof der Namenlosen“ ist aber geblieben. Fast idyllisch liegt er verwittert im Auenwald hinter einem Damm versteckt und wird von Ehrenamtlichen betreut.

Auf den meisten Schildern steht „namenlos“, „unbekannt“, „männlich“, „weiblich“ und vielleicht noch ein Datum – das, an dem die Leiche angeschwemmt wurde.
Irgendwie unheimlich. Ständig fragt man sich, was ist nur passiert? Ermordet? Unfallopfer? Selbstmörder? Man wird es wohl nie erfahren.

Fiaker Wien

Katakomben im Stephansdom

Vom Stadtrand geht es nun voll ins Geschehen ins Herzstück Wiens, dem Stephansdom. Wir haben beschlossen den Katakomben im Wiener Stephansdom einen Besuch abzustatten, um unserer miesen Stimmung noch mehr zu frönen. Die Fiaker vor dem Stephansdom schauen immer irgendwie traurig drein, aber bei diesem tristen Wetter scheinen auch die Kutscher besonders mürrisch. Wir schleichen vorbei uns buchen ein Tour** in die Katakomben-Welt des Stephansdom mit seinen unzähligen Gruften.

Katakomben-Stephansdom

Bild: ©Stadtbekannt.at

Eine unscheinbare Tür aus dunklem, massivem Holz führt direkt ins Reich der Toten. Am Ende der Treppe befindet man sich dann im ältesten Teil der Katakomben, der jedoch aufgrund aufwändiger Renovierungen seltsamerweise einen höchst modernen Eindruck macht. Nach dem man eine unterirdische Kapelle durchschritten hat, steht man in der Gruft, in der sich mehrere hermetisch verschlossene Särge und Gefäße befinden. In den Särgen liegen Bischhofsleichen, die aufgrund der fehlenden Luft nicht verwesen. An die Kapelle direkt angrenzend befindet sich die Gruft. Hier ruhen zahlreiche namhafte Habsburger – oder zumindest Teile von ihnen. In der Gruft werden primär prunkvoll verzierte Metallgefäße aufbewahrt, die die Eingeweide der Habsburger beherbergen. Es mutet schon etwas schaurig an, wenn unser Führer beim Gang durch diese Unterwelt erzählt, dass in der Herzogsgruft die inneren Organe der Habsburger in Spiritus eingelegt sind. Und da stehen sie dann ganz unschuldig im Regal, schmucklose, verlötete Kupferurnen, alle leicht verstaubt. Es war ein Ritus bei den Habsburgern, die Körper der Toten dreizuteilen. Die Eingeweide kamen in die Herzogsgruft, die Leiber in die Kapuzinergruft und ihre Herzen ins ‚Herzgrüftl‘ in der Augustinerkirche.“

Richtig spannend wird es erst im „neueren“ Teil der Katakomben. Hier betritt man jene Welt, die man sich gemeinhin unter Katakomben vorstellt: Niedrige, düstere Gänge, abgestandene Luft, Gänge, die scheinbar endlos in die Tiefe führen. Nun reiht sich Raum an Raum, bis an die Decke gefüllt mit aufeinander gestapelten Gebeinen. Die Räume sind nicht mehr zugänglich, aber man kann genügend Schauriges durch die Gitterstäbe erspähen.

Als 1713 die Pest in Wien wütete, waren alle Friedhöfe überbelegt. Man wusste nichtmehr wohin mit all den Toten. Ca. 11.000 Tote warf man in die Schächte, die, sobald gefüllt, zugemauert wurden. Später haben angeblich Sträflinge und Mönche die Gebeine geschlichtet.

Leider ist für Besucher nur ein kleiner Teil des weitläufigen, unterirdischen Katakombensystems zugänglich, für einen „grausigen“ Ausflug reicht es aber allemal.

Café Kafka Wien

Bild: ©Café Kafka

Den Magen im Café Kafka beruhigen

Wer es mit dem makabren Totenkult auf die Spitze treiben möchte, kann auch noch die Kaisergruft in der Kapuzinerkirche aufsuchen oder dem Foltermuseum einen Besuch abstatten. Uns reicht es jedoch. Unsere Mägen knurren und wir sorgen uns um unser leibliches Wohl. Wir kehren im Café Kafka ein, eines der Lieblingskaffeehäuser der Gemütlichkeits-Fraktion wozu auch ich mich zähle. Hier kann man stundenlang lesen und über Gott und die Welt philosophieren.
Unsere Wahl fällt unter anderem aber auch auf das Kafka, da die Küche ausgesprochen gut ist und alle Speisen vegetarisch oder vegan sind und die Karte vorrangig leckerste orientalische Küche beinhaltet.

 Der dritte Mann

Bild: ©ORF Studio Canal

Der dritte Mann

Unseren skurrilen Wien Tag lassen wir mit einem Kinobesuch ausklingen. Natürlich ein Muss für jeden, der in Wiens Nachkriegs-Vergangenheit eintauchen möchte ist der Filmklassiker „Der Dritte Mann“. Ein eindringlicher, perfekt inszenierter Spionage-Schmuggler-Krimi Klassiker, der größtenteils in Wiens Untergrund, der Kanalisation spielt. Aber auch andere zentrale Schauplätze, wie der Prater und der Zentralfriedhof sind Bestandteil der Filmdrehorte. Der Film wird seit Jahren im traditionsreichen Burg Kino in Originalfassung gezeigt. Selbstverständlich gibt es im Film auch Tote J

Alle Movie-Buffs, die sich intensiver mit dem Film und dessen Beziehung zu Wien beschäftigen möchten, sollten das Dritte Mann Museum besuchen oder an einer der Führungen zu den original Drehplätzen teilnehmen. Es gibt eine Untergrundführung und einen Vienna Walk, der den oberirdischen Filmschauplätzen des Filmklassiker folgt.

 

**Die Katakomben des Stephansdoms sind nur mit Führung zu besichtigen.

Sonstige Bilder© Privateigentum, Fotolia, istockphoto

5 comments

  • Hallo Eva, da ich nächste Woche ein paar Tage in Wien verbringen werde, bin ich gerade auf der Suche nach ein paar Inspirationen. So bin ich auch auf deiner Seite gelandet.

    Ich bin gerade wirklich am überlegen, ob ich nicht tatsächlich den Zentralfriedhof besuchen sollte?! Zumal ich hier nicht das erste Mal davon lese, dass der Wiener Zentralfriedhof wohl ein Besuch wert ist. Ich bin noch etwas skeptisch.

    Grüße Torsten

    • Eva

      Hi Torsten,

      wenn Du ausreichend Zeit und einen Hang zum morbiden ;-)hast, kann ich einen Besuch sehr empfehlen. Du solltest aber schon ca. 3 Stunden mit Anreise einplanen. Der Friedhof ist wirklich groß und Du brauchst eine Weile bist du dort bist.

      Viel Spaß und genieße Wien! Ich mag die Stadt sehr.

  • Pingback: Sieben Dinge, die ihr in Wien mit Kindern unbedingt tun müsst

  • „Gemeinsam mit einem Friedhof in Hamburg gilt der Zentralfriedhof als größter Friedhof Europas (einer hat mehr Fläche, der andere mehr Leichen, ich vergesse aber immer welcher welcher ist).“

    Sagt ein Member in einem Reiseforum.

    Peace.

  • Ich mag so morbide Beiträge, bitte mehr davon! Vor allem über Wien finde ich das spannend, da es ja sonst immer im süßen Sissi-Kitsch dargestellt wird. Ich bin bald wieder in Wien und dann finde ich hoffentlich Zeit für ein paar Deiner Tipps.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht.