INSIDE POLEN: Von Schwermut, sprachlichen Eigenheiten, der Legende von Kaschubei und Polen als Reiseland.
Dominika ist wie ich eine Mama mit eigenem Business. Wir haben uns über das Münchner „Mompreneurs“ Netzwerk kennengelernt. Ich bin gleich hellhörig geworden, als sie mir erzählt hat, dass sie eigentlich aus Polen stammt – ein dicker weißer Fleck auf meiner Landkarte.
Ich wollte alles über Polen von Dominika wissen und wie sie sich so als „Zugroaste“ in München fühlt.
Dominika bloggt übrigens auch. Sie betreibt den Senkrechtstarter Blog „From Munich with Love“, ein Familienblog aus München mit erstklassigen Ausflugstipps und Aktivitäten in und rund um München.
Danke fürs Mitmachen, Dominika!
Woher genau stammst Du aus Polen und seit wann lebst Du in Deutschland?
Ich komme aus der mittelgroßen Stadt Radom, die 250 000 Einwohner hat und 100 km südlich von Warschau liegt. In Radom lebte ich bis ich 19 Jahre alt war. Danach zog ich für 5 Jahre nach Warschau, wo ich Kulturwissenschaften an der Warschauer Universität studierte.
Nach Deutschland kam ich zum ersten Mal 2006 und zum zweiten Mal 2010.
War es schwer für Dich, deine Heimat zu verlassen? Was waren die Gründe dafür?
Das erste Mal verlies ich Polen direkt nach dem Studium. Ich nahm am EU Projekt „Leonardo da Vinci“ teil und zog in die Schweiz nach Lugano. Dort arbeitete ich in der Kultur- und Eventabteilung der Stadt. Alles war sehr spannend und neu für mich, deswegen war ich überhaupt nicht traurig, Polen verlassen zu haben. Das Projekt sollte ja nur ein Jahr dauern. Der Plan war, dass ich nach diesem Jahr nach Polen zurück kehre und mir dort eine fantastische Stelle suchen werde.
In Lugano lernte ich aber nicht nur Italienisch, sondern auch meinen zukünftigen Mann kennen! Mit ihm zog ich 2006 weiter nach Hamburg, wo ich Deutsch lernte und in einer Eventagentur arbeitete. Danach kam ein sehr spannendes Angebot in Danzig, Polen, eine private Familienbildungsstätte als Managerin zu leiten. Über ein Jahr genoss ich also mein Leben an der Ostsee – ich brauchte nur 20 Minuten radeln und schon war ich am Strand! Jedoch war die Fernbeziehung eine harte Probe für uns und wir entschlossen uns, zu heiraten! Die Vorbereitungen für die Hochzeit dauerten über ein Jahr. Inzwischen zog ich wieder nach Warschau, arbeitete dort als Koordinatorin eines großen, internationalen Theaterfestivals und heiratete die Liebe meines Lebens! Als das Projekt in Warschau fertig war, zog ich 2010 nach München, weil mein Mann inzwischen einen Job in der Weltstadt mit Herz fand!
Was ist der größte Unterschied zu Deinem Leben hier und dem in Polen?
Meine ganze Familie ist in Polen geblieben! Hier musste ich neue Freundschaften und neue Kontakte schließen. Das ist am Anfang immer ein bisschen hart. Da ich aber relativ schnell nach dem Umzug Kinder bekam, lernte ich viele Leute durch die Spielgruppen und durch das Bloggen kennen. Ich kenne viele polnische Familie, die in München wohnen, mit denen ich regelmäßig Kontakt habe. Das hilft mir ein bisschen beim Heimweh und gibt mir die Möglichkeit, mich in meiner Muttersprache unterhalten zu können – nicht nur mit den Kindern.
Welche Deiner polnischen Eigenarten hast du Dir beibehalten und was „typisch polnisches“ möchtest du auch hier in Deutschland nicht missen?
Die polnische Sprache hat viele Nuancen, die die Mentalität widerspiegeln. Z. B. bei den Namen gibt es einen großen Unterschied. Wenn man sich in der deutschen Sprache duzt, benutzt man einfach den Vornamen. Wenn man sich siezt, wird nur der Nachname benutzt. Z. B. Frau Anna Nowak wird Anna (duzten) oder Frau Nowak (siezen) genannt.
In der polnischen Sprache hingegen sieht die Sache ganz anders aus! Pani (Frau) Anna Nowak wird ziemlich selten benutzt, nur bei offiziellen Anlässen. Freunde, die Anna Nowak duzen, sprechen sie mit Ania, Anka, Anusia, Aneczka an. Wir benutzen ganz viele Kosenamen.
Wer Anna Nowak siezt, spricht sie mit pani Ania oder pani Anna an. Sehr selten wird sie pani Nowak genannt. Diese Formel zeigt einfach die Leichtigkeit, mit der man in Polen vom Offiziellen ins Informelle übergeht. Diese Offenheit, Spontanität und Gelassenheit vermisse ich schon und versuche sie bei meinen polnischen Freunden und Bekannten zu pflegen.
Ich war noch nie in Polen. Was habe ich verpasst oder was erwartet mich dort?
Polen ist wunderschön und hat ganz viele Geheimtipps, die man unbedingt kennen lernen muss!
Polen ist Deutschland aber auch ziemlich ähnlich: im Norden – die Ostseeküste, im Süden – die Berge. Ostpolen ist noch in der Entwicklungsphase und ein bisschen ärmer als Westpolen.
Es gibt aber auch große Unterschiede. Wir haben gar nicht so viele Dialekte, wie in Deutschland und man erkennt nicht sofort, aus welcher Region die Person kommt, mit der man gerade spricht. Ich finde, dass Polen eine schöne Mischung aus der westlichen und der östlichen Welt bietet.
Es ist vielfältig, spannend und sehr empfehlenswert!
Polen ist als Reiseland noch in den Startlöchern und für uns Deutsche bisher nur eingeschränkt auf dem Radar. Auch ich verbinde damit nur Kururlaub, Warschau und Krakau als Städtereise, evtl. noch die Ostseestrände. Was empfiehlst Du uns als attraktive Touristenziele?
Meine Geheimtipps sind zwei Regionen: die Kaschubei und die Masuren.
Die Kaschubei ist ein Landstrich, der ca. 50 Km südlich von Danzig, Gdingen und Zoppot liegt. Die drei Städte werden als Dreistädteverbund bezeichnet. Der Ausflug an einen dieser Orte lohnt sich sehr! Nicht nur durch die unmittelbare Nähe zur Ostsee, sondern auch durch die wunderschöne Architektur und die Verbundenheit mit der deutsch-polnischen Geschichte.
In der Kaschubei vermischen sich drei Kulturen und drei Sprachen: Polnisch, Deutsch und Kaschubische – alle Ortschaften werden sowohl auf Polnisch, als auch auf Kaschubisch genannt.
Kaschubisch ist eine gefährdete Sprache, wird aber immerhin noch von etwa 150.000 Kaschuben verstanden und von etwa 50.000 aktiv als Alltagssprache verwendet.
Die Legende der Kaschubei besagt, dass als der liebe Gott die Erde schuf, hatte er einen Sack, in dem Flüsse, Berge, Täler, Seen, Wälder, Meere, Weiden, Wiesen etc. steckten. Er nahm aus dem Sack verschiedene Sachen raus und dekorierte damit die Welt. Leider vergaß er die Kaschubei zu dekorieren und die Erde dort blieb karg und leer.
Zum Glück merkte das ein Engel, der Gott dieses arme Land zeigte. Daraufhin schüttelte er über die Kaschubei die Krümelchen, die noch am Boden des Sacks blieben. So sind die Kaschuben entstanden: eine vielfältige Region mit wunderschöner Landschaft und interessanter Kultur!
Die Masuren empfehle ich denjenigen, die gerne Segeln, am Abend an einem Lagerfeuer Würstchen braten und Matrosenlieder singen. Die Region des ehemaligen Ostpreußens im Norden Polens hat eine (noch) unberührte Natur mit unglaublich schönen Sonnenuntergängen, einer weitläufigen Seenplatte, dichten Wäldern und dem Charme der Provinz.
Gibt es Eigenarten, die Dich an Deinen Landsleuten stören?
O ja, ganz viele sogar. Geht es aber nicht jedem so, mit den eigenen Landsleuten?
Als ich aus der italienischen Schweiz wieder nach Polen kam, fiel mit auf, wie traurig und verbittert die Menschen auf der Straße wirkten. In Lugano hörte ich oft „Ciao bella, come stai? Tutto bene?“ von wildfremden Leuten in Läden, Cafés oder Restaurants. Diese Lebensfreude gefiel mir sehr gut!
Im Gegensatz dazu wirkten die Polen sehr ernst und lustlos. Ich weiß aber, dass es nur eine Fassade ist und in Realität sind wir lebensfreudig und lustig drauf. Wir jammern aber und beschweren uns zu viel!
Wie sehen die Polen uns Deutsche? Sind wir gern gesehene Gäste oder sitzt die kriegsbedingte Abneigung noch tief?
Die Älteren sind oft noch ziemlich skeptisch dem deutschen Gast gegenüber, die Jungen aber sehen ihre deutschen Freunde als weltoffen, modern und unternehmungslustig. Deutsch wird als zweite Fremdsprache (nach Englisch) in Schulen gelernt und viele Studenten machen ein Austauschsemester in Deutschland.
Auch die deutschen Gäste sind keine Neuigkeit mehr, vor allen nicht in den großen Städten. Die kriegsbedingte Abneigung wird immer weniger gespürt…
Und Deutschland wird immer öfters als Reiseland gesehen. München ist bei den polnischen Touristen sehr populär. Seit Robert Lewandowski von Borussia Dortmund zum FC Bayern wechselte, stieg bestimmt die Zahl der polnischen Touristen enorm.
Verrate uns doch bitte Deine absoluten „Hidden Gems“ und Geheimtipps in Deiner Heimatstadt?
Leider muss ich gestehen, dass Radom keine besonders schöne Stadt ist. Im Kommunismus wurde sie nicht verschont und bekam ziemlich viele hässliche Betonbauten ab.
Die beliebte Fußgängerzone Żeromskiego Straße (nach dem polnischen Schriftsteller benannt) wird oft als Einkaufsmeile besucht. Hier kann man auch Crêpes, Eis oder Waffeln to go kaufen. Am Ende der Straße gibt es eine grüne Ecke der Stadt, den Stadtpark. Hier verbrachte ich als Kind viele schöne Momente mit meinen Eltern und meinen Geschwistern.
Wenn ich in Radom zu Besuch bin, gehe ich mit meinen Kindern auf den Spielplatz, auf dem ich selbst als Kind tobte. Jetzt ist er modernisiert und kinderfreundlicher als damals!
Schön ist auch der Park „Stary Ogród“ (Alter Garten). Als ich in Radom lebte, war der Park sehr gefährlich, dunkel und ungepflegt. Dank der Sanierung ist er zur grünen Lunge der Stadt und beliebter Ort für Spaziergänge geworden.
Was muss ich in Polen unbedingt gemacht/probiert haben?
Die typisch polnische Küche ist ziemlich deftig. Wir essen auch sehr viele Suppen. Die traditionelle polnische Mittagsmahlzeit besteht aus einer Suppe und einem zweiten Gang. Am häufigsten wird die Hühnersuppe gegessen, beliebt sind aber auch barszcz (Rotebeete-Suppe), sauer Mehlsuppe, Gurkensuppe oder Pilzsuppe.
Ich liebe vor allem pierogi, die den Maultaschen ähnlich sind. Pierogi kann man mit Kraut und Pilzen, mit Fleisch, Kartoffeln mit Zwiebeln oder mit verschiedenem Obst essen. Am liebsten mag ich pierogi mit den wilden Blaubeeren aus dem Wald und mit süßer Sahnesoße. Himmlisch! So schmeckt für mich der Sommer.
Probieren soll man auch Salzgurken – am besten hausgemachte. Achtung, Suchtgefahr!
Welchen Ratschlag möchtest Du jedem Polen-Reisenden mit auf den Weg geben?
Bleibt gelassen! Die Polen sind herzlich, lustig und gesellig, auch wenn sie am Anfang ziemlich verschlossen wirken.
Sobald man das Thema „Familie“ anspricht, werden meine Landsleute sehr offen und gesprächig. Wir mögen Komplimente und freuen uns riesig, wenn man selbst versucht, auf Polnisch z. B. etwas zu bestellen oder jemanden zu begrüßen.
Wir wissen, wie schwierig unsere Sprache für Ausländer ist und wissen es zu schätzen, wenn man sich Mühe gibt, ein paar polnische Worte zu lernen. Übrigens der beliebteste Deutsche in Polen ist der Kabarettist und Schriftsteller Steffen Möller, der als Erwachsene polnisch gelernt und Polen für sich entdeckt hat.
Wo verbringst Du Deinen Urlaub selbst am liebsten?
Am liebsten fahre ich dort hin, wo es warm ist. Strand, Meer, Sand, leckeres Essen am Abend – das sind meine Prioritäten. Oder waren, als ich noch keine Kinder hatte 😉
Mit den Kindern habe ich verstanden, dass der Ort weniger relevant ist. Viel wichtiger ist, dass wir Eltern entspannt und gut drauf sind!
Bilder: ©Dominika Rotthaler
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